Jahresabschlusserstellungen bei Krisenunternehmen unter Berücksichtigung von BGH, SanInsFoG und StaRUG
Der BGH hat mit Urteil vom 26.01.2017 – IX ZR 285/14 entschieden, dass für Steuerberater bei der Erstellung von Jahresabschlüssen für Mandanten eine gewisse Prüfungs- und Hinweispflicht im Hinblick auf die Fortführungsfähigkeit des Unternehmens besteht. Wird dies unterlassen, kann es zu einer Haftung kommen. Entsprechende Aussagen finden sich in den berufsständischen Verlautbarungen der Steuerberater und Wirtschaftsprüfer.
Zum 01.01.2021 ist das Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz (SanInsFoG) in Kraft getreten. Durch den ebenfalls durch das SanInsFoG eingeführten § 102 StaRUG (Unternehmensstabilisierungs- und restrukturierungsgesetz) werden nunmehr ausdrücklich eine Hinweis- und Warnpflicht bei der Erstellung von Jahresabschlüssen für einen Mandanten durch einen Steuerberater, Steuerbevollmächtigten, Wirtschaftsprüfer, vereidigte Buchprüfer und Rechtsanwälte normiert. Diese haben auf das Vorliegen eines möglichen Insolvenzgrunde nach den §§ 17 bis 19 InsO und die sich hieraus ergebenden Pflichten für die Geschäftsleiter und Mitglieder der Überwachungsorgane hinzuweisen, wenn entsprechende Anhaltspunkte offenkundig sind und sie annehmen müssen, dass dem Mandanten die mögliche Insolvenzreife nicht bewusst ist.
Es ergeben sich daraus für Ersteller von Jahresabschlüssen Haftungstatbestände zum Einen aus einem mangelhaften Abschluss wegen Bilanzierung zu Fortführungswerten, zum Anderen aus unterlassenen Warn- und Hinweispflichten. Risiken bestehen in einer Haftung für den sogenannten Insolvenzverschleppungsschaden, der zwar versichert werden kann, aber der Höhe nach überhaupt nicht einschätzbar ist, in der nicht versicherbaren Anfechtung von Honoraren wegen mangelhafter Erstellung sowie in der Abtretung von Ansprüchen des Geschäftsführers gegen den Ersteller (wegen der Schutzwirkung für Dritte aus dem Erstellungsmandat) an den Insolvenzverwalter.
Zur Klärung der Frage nach der „richtigen Bilanzierung“ sind folgende Entscheidungskriterien bei der Erstellung von Jahresabschlüssen zu berücksichtigen:
- Sofern sich keine Anhaltspunkte oder Zweifel ergeben, ist mit Fortführungswerten zu bilanzieren
- Wenn feststeht, dass das Unternehmen aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht fortgeführt werden wird, ist eine Bilanzierung zu Fortführungswerten mangelhaft
- Die Bilanzierung zu Fortführungswerten ist ebenfalls mangelhaft, wenn Zweifel an der Fortführung bestehen und der Ersteller nicht vom Mandanten abklären lässt, ob gleichwohl Fortführungswerte zugrunde gelegt werden können
Die „Hinweise zur Verlautbarung der Bundessteuerberaterkammer zu den Grundsätzen für Erstellung von Jahresabschlüssen in Bezug auf Gegebenheiten, die der Annahme der Unternehmensfortführung entgegenstehen (13/14.03.2018, aktualisiert 07.09.2021)“ geben dazu folgenden Fahrplan:
- Der Ersteller hat zu prüfen, ob tatsächliche oder rechtliche Gegebenheiten bestehen, die der Fortführung der Unternehmenstätigkeit entgegenstehen können (Anmerkung: Tatsächliche Gegebenheiten sind hauptsächlich wirtschaftliche Schwierigkeiten. Sobald Hinweise hierfür vorliegen, ist weiter zu prüfen, insbesondere bei Anzeichen, die einen Insolvenzgrund darstellen können wie erhebliche Verluste, geringe Eigenkapitalausstattung, Liquiditätsschwierigkeiten, bilanzielle Überschuldung)
- Erkennt der Ersteller Indizien, hat er festzustellen, ob von den gesetzlichen Vertretern Maßnahmen ergriffen wurden, die Indizien zu entlasten
- Lassen sich Maßnahmen nicht erkennen, muss der Ersteller die gesetzlichen Vertreter auffordern, eine explizite Fortführungsprognose zu erstellen
- Sind die gesetzlichen Vertreter aufgefordert, ihrer Pflicht zur Aufstellung einer expliziten Fortführungsprognose nachzukommen, ist daraus eine Aussage abzuleiten.
Eine explizite Fortführungsprognose muss enthalten: Eine Analyse des bisherigen Geschäftsverlaufs, eine nachvollziehbare Planung über den Prognosezeitraum, eine klare Aussage über die Fortführung, erwartete Entwicklungen, geplante Maßnahmen, Analysen, Berechnungen mit zugrundeliegenden Parametern. - Sofern die vorgelegte Fortführungsprognose nicht evident untauglich ist (z.B. nicht nachvollziehbar oder dem Kenntnisstand des Erstellers widersprechend), kann sie verwendet werden.
- Genügt die Fortführungsprognose diesen Anforderungen nicht oder wird keine vorgelegt, ist der Auftrag niederzulegen.
Das Sanierungs- und insolvenzrechtliches Krisenfolgenabmilderungsgesetz (SanInsKG) modifiziert die Insolvenzantragspflicht wegen Überschuldung nach § 15a InsO, wonach der Prognosezeitraum für die sogenannte insolvenzrechtliche Fortführungsprognose von zwölf auf vier Monate herabgesetzt wird (bis zum 31.12.2023) und die Höchstfrist für die Stellung eines Insolvenzantrags wegen Überschuldung von derzeit sechs auf acht Wochen hochgesetzt wird (ebenfalls bis 31.12.2023).
Grundsätzlich ergeben sich für den Ersteller von Jahresabschlüssen daraus folgende Konsequenzen:
- Die Erstellung eines Jahresabschlusses ohne Prüfung der Going-Concern Prämisse (Fortführungsprognose) praktisch nicht mehr möglich
- Hinweis- und Warnpflichten aufgrund der Änderung der BGH-Rechtsprechung sind zu beachten
- Hinsichtlich der Haftung besteht nahezu kein Unterschied mehr zwischen Erstellung und Prüfung
- Es findet zunehmend eine Vermischung von HGB und Insolvenzrecht statt
- Den Ersteller treffen vertraglich nicht vereinbarte Plichten, er wird sozusagen zur „Insolvenzpolizei“
- Zunehmend müssen Zukunftsinformationen ausgewertet werden anstatt vergangenheitsbezogener Rechnungslegung
Daraus resultiert auch ein gestiegenes Haftungspotenzial für den Ersteller durch
- „Finalität“ bei Ansatz von Zerschlagungswerten (self-fulfilling prophecy)
- Unabsehbare Insolvenzverschleppungsschäden bei Ansatz von Fortführungswerten
- Begehrlichkeiten auf die Haftpflichtversicherung im Insolvenzfall
Die aktuellen Rahmenbedingungen (steigende Rohstoff- und Energiepreise, historisch hohe Inflation, Industrielle Erzeugerpreisinflation, Lieferkettenproblematik, Materialbeschaffungsprobleme, Corona-Effekte, Folgen des Ukrainekriegs) stellen große Herausforderungen für Unternehmen dar und können in der Folge zu einer steigenden Zahl von Krisenunternehmen führen. Zunehmend wird auch eine vorausschauende Planung erschwert, Prognosen lassen sich angesichts der auf absehbare Zeit weiterhin bestehenden Unsicherheiten über Art, Ausmaß und Dauer des eingetretenen Krisenzustands oft nur auf unsichere Annahmen stützen.
Die Erstellung von Jahresabschlüssen von Krisenunternehmen wandelt sich für die Ersteller somit von einer Routinetätigkeit zunehmend zu einer hochriskanten Tätigkeit. Es bleibt zu hoffen, dass der bestehenden Überforderung der Ansprüche im aktuellen und künftigen Umfeld gesetzgeberisch entgegengewirkt wird, um die bestehenden unabsehbaren Haftungsrisiken einzudämmen.